Grenzen überwinden und Neuland betreten

    In seinem Verlag Ars Biographica veröffentlicht der Wirtschafts­historiker und Biograf Bernhard Ruetz Themenbände über Schweizer Unter­nehmen. Im Interview mit der Umwelt Zeitung gibt er Einblick in die Biografie von Alpinist Robert Helbling.

    (Bild: zVg) Der Alpinist, Vermessungspionier und Firmengründer Robert Helbling wollte Grenzen überwinden und Neuland betreten.

    Wer war Robert Helbling? Bernhard Ruetz: Robert Helbling war ein bedeutender Alpinist, Wegbereiter der Photogrammetrie und Photogeologie sowie ein Mitbegründer der Weltfirma Wild Heerbrugg, heute Hexagon.

    Was hat ihn angetrieben? Robert Helbling wollte Grenzen überwinden und Neuland betreten, als Bergsteiger, Vermessungspionier und Unternehmer.

    Wie haben ihn seine Erfahrungen in Kaukasus und in Argentinien geprägt? Im Kaukasus gelang Robert Helbling 1903 mit seinen Kollegen die Erstbesteigung des Uschba-Südgipfels – eine bergsteigerische Grosstat. In Argentinien gelang ihm am 31. Januar 1906 die Drittbesteigung des Aconcagua, ein weiterer alpinistischer Meilenstein. In den argentinischen Anden erforschte Helbling die Juncal-Tupungato-Gruppe und entdeckte dort eine bislang weitgehend unbekannte und nicht kartierte gletscherreiche Gegend. In dieser Region wendete er zum ersten Mal das Messverfahren der Photogrammetrie an. Dieses Knowhow brachte er in der Schweiz zur Anwendung, u.a. bei der Vermessung des Gotthardgebiets für die Festungs- und Schiesskarten im Ersten Weltkrieg. So verhalf Helbling der Photogrammetrie in der Schweiz zum Durchbruch.

    Was kann man zu ihm als Unternehmer sagen? Robert Helblings grosse unternehmerische Leistung ist es, dass er zusammen mit Heinrich Wild und Jacob Schmidheiny die Firma Wild Heerbrugg im Jahr 1921 gründete. Sie wurde zum Nukleus des heute international bedeutenden Industrie-Clusters im St. Galler Rheintal.

    These: Er hat aus Schicksalsschlägen gelernt. Können Sie diese These näher erklären? Der tragische Bergtod seines besten Freundes Heinrich Spoerry am Matterhorn im Jahr 1907 war für Robert Helbling eine Zäsur in seinem Leben. Dieser Schicksalsschlag liess ihn noch stärker zum Vermessungsexperten reifen. Denn er wollte fortan die Berge nicht bloss subjektiv erleben, sondern auch objektiv vermessen. 

    Was hat Sie dazu gebracht, über Robert Helbling eine Biographie zu schreiben? Robert Helblings einzigartiges Lebenswerk, das Alpinismus, Wissenschaft und Unternehmertum verbindet, war bislang zu wenig bekannt. Deshalb war es auch der Wunsch seines Enkels Christoph Spoerry, Robert Helblings Leben, Werk und Wirken in einer Biographie festzuhalten.

    Was hat Sie am meisten an ihm fasziniert? Robert Helbling zeigt in inspirierender Weise auf, was ein Mensch zu leisten vermag, wenn er sich mit ganzer Seele einem selbstgewählten Ziel verschreibt.

    Hat Sie auch etwas enttäuscht? Bedauerlich ist, dass Helblings Biographie zwischen dem 40. und dem 70. Lebensjahr von zwei Weltkriegen und einer Wirtschaftskrise überschattet wurde. Somit konnte er sein Potenzial als Unternehmer und Vermessungsexperte wohl nicht vollständig ausschöpfen.

    Hat sich etwas in der Geisteshaltung des Alpinisten seit Robert Helbling geändert? Was denn? Ich glaube, heute würde ein Alpinist wie Robert Helbling, der ohne Vorräte und ganz alleine auf eine anspruchsvolle Bergtour geht, notabene ohne moderne Hilfsmittel wie GPS oder Hightech-Funktionskleidung, als verrückt erklärt. Die Welt ist seit den Zeiten von Helbling stärker vermessen und kalkulierbarer, aber vielleicht auch etwas weniger abenteuerlich geworden.

    Interview: Henrique Schneider

    Robert Helbling – Alpinist, Vermessungspionier, Firmengründer. Verlag Ars Biographica, Humlikon 2022.

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    Zur Person: Bernhard Ruetz stammt aus einer Erfinderfamilie und hat an der Universität Zürich doktoriert. Ruetz war langjähriger Leiter Strategie und Planung am Liberalen Institut in Zürich sowie Geschäftsführer des Vereins für wirtschaftshistorische Studien. Bislang hat er 50 Bücher herausgegeben und 25 Biografien geschrieben, so über die SV Group, Pistor, die Keller Ziegeleien, Zaunteam, Büchi Labortechnik oder die Gourmetrösterei Rast. In seinen Themenbänden befasst sich Bernhard Ruetz mit Schweizer Unternehmen, die nachhaltig und wertebasiert handeln und deshalb innovativ und erfolgreich sind. 

    www.arsbiographica.ch

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