Kennen Sie den Gartenschläfer?

    Pro Natura hat den Gartenschläfer (Eliomys quercinus) zum Tier des Jahres erkoren. Er ist Botschafter für wilde Wälder und naturnahe Landschaften. Der nachtaktive Nager mit der schwarzen Augenmaske schlummert von November bis April im Winterschlaf. Danach beginnt er ein turbulentes Sommerleben.

    (Bild: © Biosphoto / Frédéric Desmette) Maske, Schwanzquaste, grosse Ohren: Der Gartenschläfer ist unverwechselbar.

    Seine schwarze «Zorro»-Maske und die schwarzweisse Schwanzquaste unterscheiden den Gartenschläfer von seinem grösseren und bekannteren Cousin, dem Siebenschläfer. Gartenschläfer können in der ganzen Schweiz vorkommen. Ihre Hauptverbreitung liegt in Höhenlagen um 1’400 Meter.

    Die natürliche Heimat des Gartenschläfers in der Schweiz ist der Wald. Der putzige Nager braucht vielfältige Wälder mit Totholz, Baumhöhlen, felsigen Abschnitten und Büschen. Solche Wälder sind selten geworden. Bis vor einigen Jahrzehnten fand der Gartenschläfer Ersatzlebensräume ausserhalb des Waldes. Die vielfältige Kulturlandschaft mit Obstgärten, Hecken und gut zugänglichen Scheunen gefiel dem Bilch als Ersatzlebensraum. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft ist der Lebensraum für Gartenschläfer jedoch auch ausserhalb des Waldes dramatisch geschrumpft. 2022 wirbt der Gartenschläfer deshalb für wilde Wälder und naturnahe Kulturlandschaften.

    (Bild: © Biosphoto / Jean-François Noblet) Während des Winterschlafs büssen Gartenschläfer rund die Hälfte ihres Körpergewichtes ein.

    Vom Winterschlaf direkt zur Paarung
    Wenn die Gartenschläfer im Frühling aus dem Winterschlaf erwachen, geht’s gleich rund. Im April beginnt die Fortpflanzungszeit. Nach rund drei Wochen Tragzeit werfen die Weibchen in einem kugeligen Nest aus Moos, Laub, Gras und Federn durchschnittlich 4 bis 6 Junge. Herr Gartenschläfer kümmert sich nicht um den Nachwuchs. Nach einem Monat Säugezeit erkunden die jungen Gartenschläfer zusammen mit ihrer Mutter erstmals die Umgebung. Nach wenigen Wochen löst sich die Familie auf. Es kommt vor, dass sich die Jungtiere für den Winterschlaf nochmals zusammentun.

    Gartenschläfer sind 11 bis 15 cm lang und bringen je nach Jahreszeit 36 bis 113 g auf die Waage. Im Mittel wiegen sie 63 g. Auf ihren nächtlichen Streifzügen beschränken sich die flinken Waldbewohner keineswegs auf vegetarische Kost. Zahlreiche Wirbellose und sogar Frösche, Eidechsen oder junge Vögel stehen auf ihrem Menüplan. Man nimmt, was man kriegen kann – typisch Allesfresser. Gartenschläfer sind ihrerseits ein beliebter Happen bei Jägern wie Waldkauz, Fuchs, Marder oder Wildkatze. Als letztes Rettungsmittel bei Gefahr haben sie die Möglichkeit, ihren Schwanz abzuwerfen. Manchmal hilft’s.

    (Bild: © Biosphoto / P.M. Guinchard) Schon in wenigen Wochen werden sie ihre Umgebung erkunden: neugeborene Gartenschläfer.

    Tierischer Besuch in Ferienhäusern
    Augen zu, Ohren runtergeklappt, Schwanz eingerollt: So begibt sich der Gartenschläfer in den Winterschlaf, sobald im Herbst die Temperaturen sinken. Erd- und Felsspalten, Baumhöhlen, aber auch Scheunen, Ferienhäuser oder Vogelnistkästen dienen als Winterquartiere. Die Körperfunktionen werden auf ein Minimum reduziert. Eine Art natürlicher Thermostat verhindert, dass die Körpertemperatur der ruhenden Gartenschläfer unter den Gefrierpunkt sinkt. Doch die langen Wintermonate fordern ihren Tribut. Rund die Hälfte der Jungtiere überlebt die kalte Jahreszeit nicht.

    Auf dem Rückzug
    Der Gartenschläfer kommt nur in Europa vor. Allerdings ist er aus weiten Teilen des ursprünglichen Verbreitungsgebietes verschwunden, namentlich in Osteuropa. Auch in der Schweiz scheint der Gartenschläfer auf dem Rückzug zu sein. In weiten Teilen des Mittellandes und in einigen anderen Regionen gibt es keine aktuellen Gartenschläfer-Nachweise mehr. Die Gründe für den Rückgang sind teilweise unklar. Der Gartenschläfer ist gesetzlich geschützt. Sicher spielt der Lebensraumverlust eine Rolle. Andere Ursachen harren noch der Erforschung. Ein gross angelegtes Gartenschläferprojekt in Deutschland soll im Frühjahr 2022 Resultate erbringen.

    (Bild: © Severin Nowacki) Strukturreiche Wälder mit steinigen Partien sagen dem Gartenschläfer zu.

    Ausser dem Gartenschläfer leben drei weitere Bilcharten in der Schweiz: der Siebenschläfer, der Baumschläfer und die Haselmaus. Verwechslungsgefahr besteht nur mit dem Baumschläfer. Seine Augenmaske ist aber deutlich kürzer als die des Gartenschläfers und endet vor den Ohren. Ausserdem fehlt dem Baumschläfer die typische schwarzweisse Schwanzquaste. Die Schweiz liegt an der westlichen Verbreitungsgrenze der Art. Der Baumschläfer ist deshalb bei uns sehr selten. Nur aus dem Raum Engadin-Münstertal-Nationalpark gibt es Nachweise.

    Gartenschläfer nehmen gerne gut zugängliche Scheunen, Garten- oder Ferienhäuser als Sommerquartier oder Winterplätzchen an. Wer einen Bilch im Haus bemerkt, hat es allerdings meistens nicht mit dem Garten-, sondern mit dem grösseren Siebenschläfer zu tun. Die Freude über den tierischen Mitbewohner kann durch den nächtlichen Geräuschpegel, angeknabberte Vorräte oder Kot- und Urinspuren getrübt werden. Der Schweizer Tierschutz gibt Tipps, wie solche Konflikte tierfreundlich gelöst werden können.

    Die Schweizer Wälder werden im europäischen Vergleich überwiegend naturgemäss bewirtschaftet. Doch es gibt Defizite. Der Anteil an alten und abgestorbenen Bäumen und an Totholz ist in vielen Wäldern deutlich zu gering. Waldreservate, in denen die Natur wirklich Vorrang hat, nehmen nur wenige Prozente der Waldfläche ein. Das hat Folgen, zum Beispiel für den Gartenschläfer. Er findet nicht in ausreichendem Mass seinen idealen Lebensraum mit Baumhöhlen, Totholz und reichhaltiger Nahrung.

    Pro Natura / Redaktion

    www.pronatura.ch

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